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Der spätantike Bischofssitz von Virunum

Erstellt von Raimund Karl am 13. Apr. 2021

Beschreibung

Bereits in den Jahren 2006 bis 2013 fanden in Maria Saal geophysikalische Prospektionen, Luftbildanalysen und Feldforschungen durch das Landesmuseum Kärnten, die Alpen-Adria Universität, die Montanuniversität Leoben, das Österreichische Archäologische Institut, die Universitá di Padova und das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege statt. Durch die jahrelangen Forschungen am ebenen Nordostrand der ehemals römischen Stadt Claudium Virunum ergab sich das Bild eines bischöflichen Gebäudekomplexes am sogenannten Decumanus maximus, also der Ost-West orientierten Hauptstraße der  einstigen Hauptstadt der römischen Provinz Noricum mediterraneum. Dieses Bild wurde durch die in Kooperation zwischen der Universität Padova und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt am Wörthersee durchgeführten Lehrveranstaltung von August bis September 2015 untermauert.

Die Bezeichnung des südlichen Saalbaus als Bischofskirche der Stadt geht auf Luftbildanalysen zurück, die bereits 1989 von O. Harl veröffentlicht wurden. Weitere spätantike Großbauten (Gemeindekirche A, Consignatorium B und Episkopium E, F) nutzen zumindest die Insula IX nach R. Egger (90,5 × 38,7 m) und somit eine Fläche von 3500 m2. Nördlich davon zeigen Luftbild- und Altgrabungsbefunde ein ca. 40 × 40 m großes, an drei Seiten umbautes Platzareal (ca. 2000 m2), das als zugehöriges Wirtschafts- und Handelsareal gedeutet wird. Zu seiner südlichen Begrenzung zählt auch das in der Literatur als Dolichenum (Tempel des hauptsächlich von der römischen Armee verehrten Jupiter Dolichenus) bezeichnete spätantike Gebäude.

Die 2015 untersuchten Flächen befinden sich nördlich der sogenannten Bischofskirche, westlich des Decumanus maximus und südlich des vermutlich zum Episkopium (Bischofspalast) gehörigen Hofes. Luftbildanalysen des Jahres 2010 zufolge war hier vom Vorhandensein eines weiteren Saalbaus entsprechender Größe auszugehen, der in einer Arbeitshypothese bereits als Consignatorium (Raum für die Salbung neu Getaufter mit Chrisamöl) der Bischofskirche von Virunum bezeichnet wurde. Die Feldforschungen im Jahr 2015 in den Schnitten S1/2015 bis S3/2015 ermöglichten eine flächenmäßig begrenzte Aufdeckung der Nordwest- und der Nordostecke dieses Saalbaues sowie in der Norderweiterung der Schnitte S1/2015 und S2/2015 einer weiteren ›leiterartigen‹ Raumflucht.

In allen Schnitten zeigten sich großflächige und tief reichende nachantike Störungen durch intentionelle Grabungen und Steinraub. Dennoch hatten sich in der Nordostecke des Saalbaus Teile des spätantiken Bodenhorizontes mit aufgehendem Mauerwerk, anhaftendem Wandputz und die unteren Mauerpartien des Presbyteriums mit der Klerikerbank erhalten. Die untersuchten Baureste lassen an der Verwendung des Saales B1 zu liturgischen Zwecken nicht zweifeln.

Zudem konnte eine zweiphasige kaiserzeitliche Fußbodenheizung und spätere Ein- und Umbauten im Saalbau beobachtet werden. Aus der Verfüllung der anlässlich der nordseitig verbreiterten Überbauung einer kaiserzeitlichen Mauer angelegten Fundamentgrube stammt eine im Zeitraum zwischen 293 bis 305/306 geprägte Münze des Constantius I. Clorus. Mit der Verbreiterung der Mauer und somit auch der Errichtung des 2015 teilweise ausgegrabenen Saalbaus kann also frühestens 293 n.Chr. begonnen worden sein.

Die erhaltenen Mauern des Saalbaus wiesen teilweise noch ca. 0,30 m hoch erhaltenen einphasigen Wandverputz auf. Spuren im Verputz lassen auf die ehemalige Existenz eines im Nachhinein entfernten Steinplattenbodenbelag schließen. Die vorgefundenen polychromen (Ägyptisch-Blau, Rot, Ocker, Schwarz und Grün als Felderrapport) Wandputzfragmente sind nur sehr kleinteilig erhalten.

Auch die Reste des Presbyterium (Versammlungsraum des Priesterkollegiums der Diözese) konnten entdeckt werden. Dieses kann vermutlich insgesamt als hufeisenförmig gestaltet rekonstruiert werden. Beim Ausheben der bis auf den Lehmhorizont im Inneren reichenden Raubgrubenverfüllung kamen spätantik bearbeitete Marmorfragmente einer Altarplatte und von Wandverkleidungsplatten mit Pilasterkanneluren zum Vorschein. Infolge der tief reichenden nachantiken Störungen kann die Westbegrenzung des Presbyteriums nicht eindeutig definiert werden, in Frage kommen diverse bereits 2012 ausgegrabene Befunde.

Die Dimensionen des Saalbaus betrugen 10,8 m (36 römische Fuß) in Nord-Süd- und 21,6 m (72 Fuß) in West-Ost-Richtung. Das Presbyterium misst 3,6 m (12 Fuß) und lässt sich somit dreimal in der Saalbreite einschreiben. Für den liturgisch genutzten Raum dürfte ein Maßverhältnis von 2 : 3 vorgelegen haben. Spätere Umbauten könnten jedoch zu seiner zugunsten des Narthex (schmale, eingeschossige Vorhalle am Haupteingang frühchristlicher und byzantinischer Kirchen) geführt haben.

Basierend auf der Kleinfundanalyse der sogenannten Bischofskirche und einer ersten stratigrafischen Befundauswertung scheint es sich im Fall des 2015 teilweise ergrabenen, zweiten Saalbaus wohl um das älteste liturgisch genutzte Gebäude dieses christlichen Sakralkomplexes zu handeln. Im Fall der sogenannten Bischofskirche sollte es sich infolge wesentlich höher liegend zu rekonstruierender Bodenniveaus um einen wohl noch im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts erfolgten Anbau im Süden des ersten Saalbaues handeln. Im Gegensatz zum ersten Saalbau überschritt der Baugrund für die sogenannte Bischofskirche die kaiserzeitlichen (privaten) Bauparzellen innerhalb der Insula IX und besetzte mit seiner Apsis sogar den öffentlichen Straßenraum. Seine Errichtung dürfte eine Monumentalisierung des Virunenser Bischofssitzes durch den Neubau der Gemeindekirche darstellen. Die Um- beziehungsweise Einbauten im älteren Saalbau könnten mit einem nach dem Bau der neuen sogenannten Bischofskirche naheliegenden Verwendungswechsel des älteren Baus von Kirche zu Consignatorium in Zusammenhang gebracht werden.

Quellen

Bonetto, J., Dolenz, H., Ebner-Baur, D., Flügel, Ch., 2015. KG Maria Saal, MG Maria Saal. Fundberichte aus Österreich 54, 60-61.

Karte

Koordinaten: 46.698703° 14.361474°
Koordinatensystem WGS84 / EPSG:4326

Bericht
  • Jahr 2015
  • Maßnahme-Nr. 72140.15.01
Art der Maßnahme
Interpretation